Seminar bei PD Dr. Sigrid Schmitz im
WS1998/99:
"Grundlagen der Raumorientierung bei Tieren und Menschen"
Referat von Frank Michler
Das Konzept der kognitiven Raumkarte
Inhalt:
1. Orientierungsstrategien
1.1. Indizien für die Existenz kognitiver
Karten
1.2. Realer und kognitiver Raum
1.3. Fokaler und globaler Raum
2. An der Verarbeitung visueller
Information beteiligte anatomische Strukturen
2.1. magno- und parvozelluläres System
2.2. Temporallappen, Hippocampus
2.3. Parietallappen
2.4. Frontalcortex
2.5. rechte Hemisphäre
Literatur
1. Orientierungsstrategien
Es gibt mindesten vier grundlegende Orientierungsstrategien: Wegintegration,
zielgerichtetes Pilotieren (wenn das gesuchte Ziel in der Nähe einer
aus der Ferne gut wahrnehmbaren Landmarke ist ), Bildseriengedächtnis
und sequentielle Bildpassung (um Ziele oder Zwischenziele zu finden werden
die Verhältnisse der Landmarkenabstände mit denen eines gespeicherten
Bildes verglichen) und Navigation mit sogenannten "Kognitiven Karten".
Der Begriff wurde erstmals Tolman (1948) benutzt und meint ein Gedächtnis
für die Lage von Landmarken zueinander unabhängig vom eigenen
Standort. Das bedeutet, das Individuum muß intern eine topographische
("kartenartige") Repräsentation der Umwelt besitzen. Ein anderer dafür
gebräuchlicher Begriff ist der des kognitiven Raumes.
1.1. Indizien für die Existenz kognitiver Karten
Menschen haben die Möglichkeit, aus dem Kopf eine Karte einer ihnen
bekannten Umgebung zu zeichnen. Auch bei Tieren konnte man nachweisen,
daß sie eine innere Repräsentation des Raumes besitzen. Ratten
lernen nach vorheriger Exploration eines Terrains Wege schneller; wenn
der direkte Weg blockiert ist, finden sie durch Verwendung eines kurzen
Umweges; bei Experimenten mit einer Unterwasserplattform nehmen die Tiere
nach einer Lernphase den direkten Weg zu dem für sie nicht sichtbaren
Ziel.
1.2. Realer und kognitiver Raum
Der reale Raum ist der Raum, in dem wir uns bewegen. Der kognitive Raum
ist eine interne Repräsentation des Raumes. Er ist jedoch kein komplettes
Abbild des realen Raumes und auch die Größenverhältnisse
sind nicht genau. Wie exakt diese Repräsentation ist, ist vor allem
erfahrungsabhängig.
1.3. Fokaler und globaler Raum
Der fokale Raum ist der Teil des Raumes, den wir direkt ansehen (fokussieren).
Das ist genau der Teil des Sehraumes, der auf der Fovea (Abb.1
) abgebildet wird, und wir sehen ihn deshalb detailreich und scharf.
Abb.1
In diesem Bereich können wir Objekte identifizieren. Die Objekte
werden dabei durch (unwillkürliche) Sakkadenbewegungen des Auges (also
einer Bewegung der Objekte relativ zum fokalen Raum) abgetastet.
Der globale Raum umgibt den fokalen Raum. Er wird unscharf und mit
weniger Details wahrgenommen. In diesem Bereich findet vor allem Bewegungsdetektion
statt.
2. An der Verarbeitung visueller Information
beteiligte anatomische Strukturen
Der Neocortex (Großhirnrinde) wird unterteilt in: Frontal-Lappen,
Parietallappen, Temporallappen und Okzipetallappen (siehe Abb.2).
Abb. 2
Ein Weg, auf dem visuelle Information verarbeitet wird, führt vom
Auge über das Corpus geniculatum laterale (CGL) zum primären
visuellen Cortex (klassische Sehbahn, siehe Abb.3).
2.1. magno- und parvozelluläres System
Abb. 3
Im CGL lassen sich anhand der Zellgrößen zwei Bereiche unterscheiden:
das magnozelluläre System (größere Zellkörper) und
das parvozelluläre System (kleinere Zellkörper). Das magnozelluläre
System verarbeitet vor allem Ort und Bewegung von Objekten, was u.a. als
Grundlage zur Steuerung der Augenbewegung beim Verfolgen von Objekten dient.
Das parvozelluläre System verarbeitet Form und Farbe von Objekten
und ermöglicht damit die Erkennung von Objekten.
Es existieren also anfangs zwei getrennte Systeme für die Verarbeitung
von Ort und Objektidentität
Durch in Beziehung setzten beider Systeme ergibt sich eine räumliche
Repräsentation.
2.2. Temporallappen, Hippocampus
Mehrere miteinander in Verbindung stehende Strukturen des Temporallappens
bilden die Hippocampusformation. Eine davon ist der Hippocampus.
O'Keefe und Dostrovsky (1971) vermuteten aufgrund ihrer Experimente,
daß der Hippocampus eine Art "kognitive Landkarte" enthält.
Sie hatten in Ableitungen an Hippocampusneuronen ortsabhängige Antwortmuster
festgestellt. Weitere Indizien lieferten Läsionsstudien, Vergleichsuntersuchungen
der Hippocampusgröße sowie Experimente, bei denen Mäuse
eine Unterwasserplatform finden müssen (water maze). Es läßt
sich also vermuten, daß im Hippocampus irgendwie die Information
über Objektidentität und Ort integriert wird. Aber wahrscheinlich
ist Raumverhalten nicht die einzige Funktion des Hippocampus.
2.3. Parietallappen
Auch Läsionen im Parietallappen führen zu räumlichen Defiziten
(z.B. Balint-Syndrom ). Er projeziert zum Frontalcortex und spielt eine
Rolle bei auf visuelle Ziele gerichteten Bewegungen.
2.4. Frontalcortex
Entfernung des Cortex anterior (inklusive Frontalcortex) führt zu
funktioneller Blindheit. Bei Affen konnte im Sulcus prinzipalis ein Mechanismus
lokalisiert werden, der Änderung der Blickrichtung aufgrund gespeicherter
Information veranlaßt, ohne, daß externe Reize nötig sind
("Arbeitsgedächtnis"). Der Frontallappen ist eng mit den Basalganglien
verbunden.
2.5. rechte Hemisphäre
Die rechte Hemisphäre ist für das Verhalten im Raum wichtiger
als die Linke. Bei bei rechtshemisphärischen Läsionen tritt eine
Störung auf, die als kontralateraler Neglect bezeichnet wird. Dabei
wird die der Läsion gegenüberliegende (kontralaterale) Seite
des Gesichtsfeldes nicht mehr wahrgenommen. Das Entfernen des rechten Hippocampus
hat stärkere Auswirkungen als das des Linken.
Literatur:
"Neuropsychologie" 2.Aufl. von Bryan Kolb und Ian Q. Whishaw
"Neurowissenschaften - eine Einführung" von Eric R. Kandel, James
H. Schwarz und Thomas M. Jessel (KSJ)
Bildnachweis:
Abb.1: KSJ S.415
Abb.2. KSJ S.85
Abb.3 KSJ S.435
Erstellt am 26.08.1999
letzte Änderung am 26.08.1999 von
Frank