Seminar: Dynamische Prozesse im Sehsystem, SoSe
1999 bei Reinhard Eckhorn
Referent: Frank Michler
Aspekte von Aufmerksamkeit
Inhalt:
1. Was ist Aufmerksamkeit und wozu ist sie nötig?
2. Wie kann Aufmerksamkeit auf einen Stimulus gelenkt
werden?
3. Modellvorstellung: Spotlight of attention
4. Modellvorstellung: biased competition
Experiment: Antworten im Inferior-Temporalen Cortex bei
gedächtnisgesteuerter Suche
Bildnachweis
Literatur
1. Was ist Aufmerksamkeit und wozu ist sie nötig?
Auf einen Organismus wirken ständig Reize ein, die eine Informationsmenge
darstellen, die seine Verarbeitungskapazitäten bei weitem übersteigt.
Für den Reproduktionserfolg (DAS Selektionskriterium der Evolution)
ist jedoch nur ein Teil dieser Information relevant. Gehirne sind daher
durch die Evolution dahingehend optimiert worden, diesen Teil der Information
auszuwählen. "Wichtige" Information wird weiterverarbeitet und führt
zu Verhaltensreaktionen - "unwichtige" Information wird ignoriert. Dieser
Prozeß der selektiven Wahrnehmung heißt Aufmerksamkeit.
2. Wie kann Aufmerksamkeit auf einen Stimulus gelenkt
werden?
-
Wenn besondere Eigenschaften eines Stimulus ihn von seiner Umgebung abheben
(z.B. durch Farbe, Form, etc.), so zieht dieser die Aufmerksamkeit auf
sich. Dazu sind noch keine Verarbeitungsprozesse auf höheren Ebenen
nötig (pre-attentive system, botom up). Die Verhaltensrelevanz ergibt
sich schon aus der Andersartigkeit des Stimulus in Bezug auf seinen Kontext.
-
Wenn höhere Verarbeitungsmechanismen beteiligt sind, spricht man vom
eigentlichen Aufmerksamkeitssystem (attentiv system, top down).
3. Modellvorstellung: Spotlight of attention
Abb. 1
Visuelle Reize werden zunächst in parallelen, retinotrop organisierten
Merkmalskarten, die jeweils auf unterschiedliche Aspekte eines Reizes spezialisiert
sind (Farbe, Form, etc.; siehe Abb. 1, nach Treisman 1985, zitiert in [5]),
verarbeitet. Wird die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Teil des Sehraumes
gerichtet, so wird die Repräsentation dieses Teils in allen Karten
wie mit einem Scheinwerfer angeleuchtet und kann weiterverarbeitet werden.
Fokale Aufmerksamkeit ist nach dieser Vorstellung eine grundlegende Voraussetzung
für die Integration der verschiedenen Objekteigenschaften zu einem
Gesammtobjekt.
Gating of neuronal responses
Abb. 2
Experimente von T. R. Vidysagar zeigen schon in V1 eine aufmerksamkeitsabhängige
Verstärkung der neuronalen Antworten. In diesen Experimenten wurden
Affen darauf trainiert, zwischen horizontalen und vertikalen Gittern in
einem markierten Teil des Gesichtsfeldes zu unterscheiden. Die Aufmerksamkeit
wurde durch einen kleinen grünen Punkt auf eines der Gitter gelenkt
(siehe Abb.2). Von den 85 aus V1 abgeleiteten Zellen reagierten 47 Zellen
aufmerksamkeitsspezifisch. Abb. 3 zeigt die Antworten einer solchen Zelle.
Sie reagiert deutlich stärker, wenn die Aufmerksamkeit (durch den
kleinen grünen Punkt) auf den Quadrant rechts unten vom Fixationspunkt
gelenkt ist.
Abb. 3
Objektbasierte Aufmerksamkeit
Experimente von Roelfsema, Lamme und Spekreijse (siehe [3]) zeigen, daß
selektive Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf der räumlichen
Position eines Scheinwerfers basiert, da sie auch auf eines von zwei überlappenden
Objekten gerichtet sein kann.
Abb. 4a und 4b zeigen die vier verschiedenen Stimuli.
Abb. 4 a,b
Zuerst taucht ein Fixationspunkt auf (rechts oben). Nach 300 ms erscheinen
zwei rote Kreise und zwei Linien. Einer der Kreise ist durch die Linie
mit dem Fixationspunkt verbunden und diente als Zielkreis (target). Der
zweite Kreis war nicht mit dem Fixationspunkt verbunden und sollte vermieden
werden (distractor).
Nach weiteren 600 ms verschwant der Fixationspunkt und das Tier mußte
eine Saccade zum Zielkreis machen. Die vier Stimuli unterscheiden sich
nur an zwei Stellen: In der Mitte, wo sich die Linien überkreuzen
oder knapp aneinander vorbeigehen, und in der Nähe des Fixationspunktes,
wo die eine oder die andere Linie mit ihm verbunden ist (Siehe Abb.4: Switch-box).
Durch Rechtecke sind die rezeptiven Felder der abgeleiteten Neurone markiert.
Die Ergebnisse in Abb. 4c, d, e und f zeigen in einem bestimmten Zeitfenster
nach der Stimulation deutlich stärkere Antworten für den Fall,
daß die rezeptiven Felder auf der target-Linie lagen - im Vergleich
zu dem Fall, wo die rezeptiven Felder auf der distractor-Linie lagen.
Abb. 4. c,d,e,f
4. Modellvorstellung "biased competition"
Robert Desimone hat ein Modell vorgeschlagen, auf dem selektive Aufmerksamkeit
basieren könnte. Es basiert auf durch Erwartung beeinflußter
Konkurrenz (biased competition). Folgende fünf Prinzipien sind für
das Modell charakteristisch:
-
Parallele Repräsentationen verschiedener Stimuli stehen in Konkurrenz.
-
Die Konkurrenz nimmt mit der Nähe der Stimuli zu. Sie ist am stärksten,
wenn sich Stimuli im gleichen rezeptiven Feld befinden.
-
Ein Konkurrenzvorteil für einen Stimulus kann durch verschiedene Mechanismen
hervorgerufen werden:
-
durch Stimulus getrieben (botom-up) ? z.B. höherer Kontrast
-
durch feedback aus höheren Verarbeitungszentren (top-down)
-
Das feedback-bias kann auch nicht-räumliche Eigenschaften wie etwa
Farbe oder Form betreffen.
-
Der top-down-Input kommt aus einem Arbeitsspeicher - möglicherweise
aus dem Präfrontalcortex.
Robert Desimone hat in seinen Experimenten u.a. Aufmerksamkeitseffekte
im Inferiortemporalen Cortex untersucht (siehe [1]). In den Versuchen wurde
den Versuchstieren, nachdem sie für 700 - 1000 ms einen Fixationspunkt
fixiert hatten, für 300 ms ein Bild gezeigt, welches sie sich merken
mußten ("cue" oder "target"). Danach mußten sie für eine
Zeit von 1500 ms wieder einen Punkt fixieren (delay). Aus dem dann erscheinenden
Array von Bilden sollten sie das, welches vorher gezeigt wurde durch eine
Saccade auswählen (siehe Abb. 5).
Abb. 5
Für die jeweils abgeleitete Zelle wurde untersucht, auf welche
Bilder sie stark reagiert (good stimulus) bzw. schwach reagiert (poor stimulus).
Einige Ergebnisse sind:
-
Nach der Präsentation des Stimulus (delay-Phase) wird eine höhere
Aktivität beibehalten, falls der Stimulus der "good stimulus" war
(delay-Effekt).
-
Nach der Präsentation des Auswahl-Arrays sind die transienten Antworten
für beide Testsituationen ("target = good stimulus" und "target =
poor stimulus") gleich. Nach 150 - 200 ms unterscheiden sich die Antworten:
unterdrückte Aktivität, falls "target = poor stimulus" und hohe
Aktivität falls "target = good stimulus" (Auswahleffekt).
-
Die Antworten einer Zelle auf ein Array von "good stimulus" und "poor stimulus"
liegt zwischen den Antworten auf den "good stimulus" alleine und den "poor
stimulus" alleine (Konkurrenzeffekt).
Bildnachweis:
Abb. 1 aus [5], S.395
Abb. 2 aus [4]
Abb. 3 aus [4]
Abb. 4 aus [3]
Abb. 5 aus [2]
Literatur:
Fig. 1: Kolb/Whishaw "Neuropsychologie" S. 395
[1] CHELAZZI, LEONARDO; DUNCAN, JOHN; MILLER, EARL K.; DESOMONE ROBERT:
"Responses of Neurons in Inverior Temporal Cortex During Memory-Guided
Visual Search"; 0022-3077/98, The American Physiological Society
[2] DESIMONE, ROBERT: "Visual attention mediated by biased competition
in extrastriate visual cortex"; Phil. Trans. R. Soc. Lond. B(1998) 353.
1245-1255
[3] ROELFSEMA, PIETER R.; LAMME, VICTOR A. F.; SPEKREIJSE, HENK: "Object-based
attention in the primary visual cortex of the macaque monkey"; NATURE/Vol
395, 24.September 1998
[4] VIDYSAGAR, T. R.; "Gating of neuronal responses in macaque primary
visual cortex by an attentional spotlight"; Rapid Science Ltd; Vol 9 No
9 22 June 1998 S. 1947
[5] BRYAN KOLB / IAN Q. WHISHAW "Neuropsychologie", 2. Auflage, Spektrum
Akademischer Verlag 1996
Erstellt am 26.08.1999
letzte Änderung am 26.08.1999 von
Frank